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Auch die Stiefel geputzt
Von Gerhard Scheit (Spectrum) 21.02.2004

Zwischen Pariser Opernszene, Dresdner Revolution und Schweizer Exil lebte Minna Wagner 30 Jahre lang an der Seite Richards. Eva Riegers kenntnisreiche Biografie einer unterschätzten Frau.

Eva Rieger war eine der ersten Autorinnen, die feministische Fragen innerhalb der Musikwissenschaft aufgeworfen haben. Ihr 1981 erschienenes Buch "Frau, Musik und Männerherrschaft" ist darin fast legendär geworden. Es findet sich dort auch ein Kapitel über "Sexismus am Beispiel Richard Wagners", das noch heute bei jedem echten Wagnerianer Entsetzen hervorrufen dürfte, so provokativ sind die Thesen formuliert. Nach einer Biografie über Nannerl Mozart aus dem Jahr 1990 (Insel Verlag, Frankfurt/Main) liegt von der Autorin nun eine über Minna Wagner, Richard Wagners erste Frau, vor. Was bleibt nun - angesichts des reichen Materials, das Eva Rieger kenntnisreich ausbreitet - von den einstigen fundamentalen Fragen einer feministischen Forschung?

Zunächst einmal ist es bemerkenswert, dass überhaupt Licht fällt auf diese Frau, die doch mit Richard Wagner immerhin 30 Jahre verheiratet war und dennoch von der ausufernden Wagner-Forschung kaum jemals angemessen dargestellt und gewürdigt worden ist.

Eva Rieger gelingt es, die Situation einer Frau gegenwärtig zu machen, die - ursprünglich Schauspielerin - eigenständig und selbstbewusst an der Seite des später so berühmten Komponisten zwischen Pariser Opernszene, Dresdner Revolution und Schweizer Exil lebte und auf vielfältige Weise dazu beigetragen hat, dass Wagner seine Karriere überhaupt machen konnte. Das Buch zeigt die alltägliche Misere und den frühen Glanz dieses Künstlerpaares ebenso wie die schwierige psychische Lage Minnas angesichts der Begegnung Richards mit Mathilde Wesendonk und schließlich die inneren und äußeren Kalamitäten der Trennung.

Die Unterschiede zu Wagners späterer Frau Cosima treten deutlich hervor. Fast könnte von einer Epochenschwelle gesprochen werden, wenn Rieger die bürgerlichen Tugenden Minnas hervorhebt, die bei aller Unterordnung unter den Meister doch ein bestimmtes Maß an geistiger Autonomie wahrt. "Die völlige Hintansetzung ihrer selbst, wie Cosima sie predigte, war Minnas Sache nicht gewesen." Die Trennung war in diesem Sinn folgerichtig: Es entspricht einer Art innerer Logik in der Entwicklung von Wagners Werk, dass eine Frau wie Minna nicht an seiner Seite war, als er "Kundry" komponierte.

Minna Wagner blieb in vielem dem verhaftet, was man mit aller gebotenen Vorsicht den weiblichen Sozialcharakter des sogenannten Biedermeier bezeichnen könnte (insofern ist das für die erste Jahrhunderthälfte signifikante Porträt von 1835, das oben zu sehen und auf dem Umschlag des Buchs abgebildet ist, gut gewählt), ohne doch offenbar aus der Begrenztheit der Autonomie, die ihn kennzeichnet, noch zu einem eigenen, verbindlichen künstlerischen Ausdruck zu finden, der Richard Wagners Geschlechterwahn widersprochen hätte.

Es hängt vermutlich mit diesem Zeitkern zusammen, wenn Eva Rieger am Ende dieses Buchs die Fragen nicht mehr so bündig und einfach stellt wie noch in der Biografie von "Nannerl" Mozart. Das 18. Jahrhundert erlaubt es, die Dinge anders, in bestimmter Hinsicht: klarer, beim Namen zu nennen - so hieß es im vorletzten Kapitel über die begabte Schwester von Amadé: "An der Formung der neuen Sprache, die die persönliche Erfahrung einbezog", hatten die Frauen "keinen Anteil. Die Wechselwirkung zwischen Erfahrung und künstlerischer Identität betraf nur das männliche Geschlecht. Selbst wenn Nannerl vom Vater in der Kompositionskunst ebenso gründlich wie Wolfgang geschult worden wäre, hätte ihr Schaffen weit hinter dem des Bruders gestanden. Denn der Aufbau einer neuen Musikkultur war Sache des Mannes."

Solche Thesen können im unmittelbaren Zusammenhang mit Minna Wagners Situation nicht mehr sinnvoll formuliert werden, wenngleich sie keineswegs zurückgenommen sind, wie die Autorin indirekt immer wieder deutlich machen kann. Das Fazit aus Minna Wagners Biografie aber muss ganz anders lauten und zeigt schlagend, wie eng die romantische Erlösungsvorstellung, die Wagner in Szene setzte, mit der Misere des Ehelebens im Ursprung zusammengehört: "Sie putzte auch seine Stiefel, wenn Geld für eine Magd fehlte, aber sie betrachtete sich zugleich selbstbewusst als Mitschöpferin seines Frühwerks. Dafür gab sie ihr Leben her. Sie wollte anerkannt, respektiert und geliebt werden, und nicht in der Verehrung zu einem Partner aufgehen. Was hatte ein Freund nach einem Besuch der beiden in Zürich über sie geschrieben? ,Minna war der gute Engel Wagners, und die großen Werke, die er schuf, verdanken alle einen Theil der liebenden Sorgfalt des Weibes in dieser doch nie im vollen Sinne des Wortes glücklichen Ehe'."

Das biografische Genre bringt viele Möglichkeiten, die Darstellung der Geschlechterverhältnisse zu konkretisieren, das zeigt sich auf jeder Seite dieses Buchs. Die im guten Sinn spekulative Frage aber, die jene einstige Studie über Musik und Männerherrschaft so brisant machte - Schlagen sich patriarchale Herrschaftsformen in den Formen der Musik nieder? -, gerät dabei notwendig aus dem Blick. Selbst die Frauenbilder in Wagners Opern, wie sie Nike Wagner hellsichtig analysiert hat, werden nicht wirklich zur Sprache gebracht. So wäre zu hoffen, dass Eva Rieger - hindurchgegangen durch diese Biografien - erneut die Konstellationen der Geschlechter in einem umfassenderen Sinn zum Thema macht.

Eva Rieger: Minna und Richard Wagner. Stationen einer Liebe. 450 S., geb., € 28,80 (Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf)

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