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Leuchtende Liebe, lachender Tod

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Eva Rieger: "'Leuchtende Liebe, lachender Tod'. Richard Wagners Bild der Frau im Spiegel seiner Musik" Artemis & Winkler, 2009.

"Klangzauber und -entzauberung", Rezension von Susanne Webel
Rezension aus Virginia Frauenbuchkritik Nr. 46, Herbst 2009, www.virginia-frauenbuchkritik.de 

Geht das? Feministin zu sein und die Musik Richard Wagners zu schätzen? Kaum zu glauben, aber es geht. Genau einhundert Jahre ist es her, dass Virginia Woolf die Festspiele in Bayreuth besuchte, und in einem Artikel für die "London Times"  zwar befand, dass man in London bessere Aufführungen erleben könne, gleichzeitig aber ihre Faszination für Wagners Musik und besonders seine Oper Parsifal bekundete. Ausgerechnet Parsifal! Eine Oper, in der Wagner, so Eva Rieger, die Frauen explizit ausschließt, weibliche Sexualität dämonisiert und den Männerbund als Quelle alles Geistigen und Reinen feiert. Auch Rieger weist auf die Faszination hin, die vom "einzigartigen Klangzauber" des Parsifal ausgeht, gleichzeitig stellt sie aber die kritische Frage, wie man heute mit dieser Oper umgehen kann. In einer ausführlichen Analyse, die Wagners Biografie, den zeitgeschichtlichen Kontext, aber eben auch und vor allem seine Musiksprache berücksichtigt, hat die Autorin eindrucksvoll die Genese und Ideologie dieser verworrendsten aller Wagner-Opern beschrieben. Und eines ist sicher: Nach der Lektüre hört man Parsifal mit anderen Ohren. Hier und in der Analyse der anderen Opern des Komponisten zeigt Rieger auf, wie sehr Wagners Werk durch seine (und zeitgenössische) Vorstellungen der Geschlechterrollen geprägt ist. Und es ist nicht nur der vielleicht offensichtlichste Aspekt der Opern, das Libretto, in dem sich zeigt, dass eine geschlechtsneutrale Interpretation gänzlich unmöglich ist. Es ist auch und vor allem die Musiksprache, die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit transportiert. In einem einleitenden Kapitel erläutert die Autorin, mit welchen musikalischen Mitteln in der Musik Affekte und Charakterdarstellung vermittelt werden. Und in der konkreten Werkanalyse wird dann deutlich, wie sich Wagners Ideen vom Verhältnis der Geschlechter in der Wahl von Instrumentation, Notation und Tongeschlecht äußern. Es gehört sicher zu den anregendsten Aspekten der  Musik Wagners, wie durch Kombination und Wandlung der musikalischen Motive Tatsachen und Tendenzen bereits "verraten" werden, bevor sie auf der Bühne zu sehen sind.  Rieger zeigt, wie schlüssig sich dies auch für die Darstellung und Charakterisierung der Geschlechterrollen nachweisen lässt. Es hat viel mit der musikalischen Charakterisierung der Figuren zu tun, dass wir Wotans Gewissenskonflikte sympathisch und die moralisierenden Einwände seiner Gattin Fricka zickig finden. Über den in die Musik hinein komponierten Antisemitismus des Komponisten ist viel geschrieben und diskutiert worden, am Beispiel des "weiblich semantisierten" Mime weist Rieger überzeugend nach, wie antisemitische mit sexistischen Ressentiments bei Wagner musikalisch eng verknüpft werden.

Obwohl das Buch überaus unterhaltsam und lesbar geschrieben ist (ein grundlegendes Interesse an und eine gewisse Vertrautheit mit Wagners Musik vorausgesetzt), gilt es eine Warnung auszusprechen: Es wabert viel Testosteron und aufgeblähtes Ego durch die Seiten. Das ist gewiss nicht der Autorin anzulasten, die sich ehrlich bemüht, Wagners kompliziertem (oder wer weiß, vielleicht auch erschreckend unkompliziertem) Seelenleben gerecht zu werden. Aber die Erkenntnis, in welchem Ausmaß Wagners emotionale und sexuelle Frustrationen ebenso wie seine Idealvorstellungen in die Darstellung von potenten Helden (Riegers Beschreibung Siegfrieds ist überaus entlarvend), dämonischen Verführerinnen und selbstlos aufopfernden Liebenden Einzug hielten, ist desillusionierend. Ein Glück für Wagner, dass seine Musik seine "begrenzten Vorstellungen" immer wieder durchbricht…

Es ist explizit nicht Inhalt des Buches, auf die andauernde (Neu)interpretation des Wagner´schen Werkes auf der Opernbühne einzugehen, eher im Gegenteil will die Autorin das Verständnis der Werke durch die Erläuterung der historischen und biografischen Hintergründe steigern. Dass die Kenntnis dieser Hintergründe - die Wagner´schen Opern nicht gerade in strahlendem Licht erscheinen lässt, ist - aus einer kritisch-feministischen Perspektive gesehen - wohl unvermeidlich. Im Schlusssatz formuliert Rieger die Aufforderung, der "kulturellen Tiefenstruktur" gewahr zu werden, die "sich unaufhörlich reproduziert, wenn sie nicht ins Bewusstsein vordringt". Es lässt sich durchaus argumentieren, dass vor allem die szenische Realisierung der Opern auf der Bühne das Potenzial hat, diese Tiefenstruktur sichtbar zu machen. In diesem Sinne ist zu hoffen, dass die Erkenntnisse dieses Buches irgendwann ihren Weg in die Inszenierungen in und außerhalb Bayreuths finden werden.

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